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AUS HEITEREM HIMMEL

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Ein Bilderbuch von Jon Klassen Text: Kirsten Winderlich Fotos: Elisa Bauer »Eine Schildkröte, ihre Freunde – und ein ungutes Gefühl« heißt es auf der Rückseite des neuen Bilderbuches von Jon Klassen, dessen aquarellartige Bilder uns in zeitlos anmutende Welten und Stimmungen versetzen. Bereits auf dem Cover treten die Schildkröte und ihr Freund, ein Gürteltier, in einer von Kargheit geprägten Landschaft auf. Mit ihren Hüten, genauer Melonen, und Punktaugen erinnern sie an komische Figuren im Theater. Platziert in der Landschaft unter weitem Himmel wirken sie fast ein wenig verloren. Und dennoch ist noch kein Grund für ein ungutes Gefühl auszumachen. Der Himmel ist mit Schönwetterwolken übersät. Schlagen wir das Buch auf, ändert sich dieser Eindruck jedoch schnell. Noch vor Titel und Impressum ragt ein Fels von der oberen Buchkante ins Bild. Dass er mit erheblicher Geschwindigkeit durch die Atmosphäre auf die Erde drängt, beweist das folgende Bild. Denn weitergeblättert, hat der Fels schon fast die Buchseite verlassen. Unaufhaltsam rauscht er abwärts. Nur noch ein Drittel seiner Masse ist am unteren Bildrand zu erkennen. Nicht überraschend, dass das erste Kapitel oder besser der erste Akt mit eben diesem überschrieben wird: »Der Fels«. Die jeweils auf einer leeren Seite mittig platzierten Titel stellen […]
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Ein Tag im Schnee

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Ein Tag im Schnee Ein Bilderbuch von Ezra Jack Keats Text: Kirsten Winderlich Fotos: Elisa Bauer Auf einmal sieht die Welt ganz anders aus. Sie fühlt sich anders an und riecht anders. Alle Geräusche klingen wie eingehüllt. Wie eine weiße Decke, die alles versteckt und gleichzeitig auf neue Weise hervorbringt. Zu beneiden sind all diejenigen, für die ein Tag im Schnee vor der Tür steht, aber auch diejenigen, die in der Lage sind, sich an diesen zurückzuerinnern. Gemeint sind die hoffentlich vielen, die sich daran erinnern, wie sie morgens das Fenster öffnen und nach Monaten, geprägt von Sonne, Regen und Dunkelheit, den ersten Schnee bemerken. Eine alle Sinne berührende Auszeit kann beginnen, ein Abenteuer, aufregend in allen Aggregatzuständen. Und genau diesen Moment lässt Ezra Jack Keats in seinem 1963 mit der Caldecott-Medaille ausgezeichnetem Bilderbuch hochleben, in einer Geschichte, die sich an unzähligen Orten auf dieser Welt ereignen könnte, die, unabhängig davon, dass Sie bereits vor fast sechzig Jahren erzählt wurde, zeitlos ist. »Eines Morgens, im Winter, wachte Peter auf und schaute aus dem Fenster. Schnee war in der Nacht gefallen. Er bedeckte alles, so weit Peter sehen konnte«, heißt es gleich zu Beginn der Geschichte, die 2020 vom Carl Auer […]
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Der Wal im Garten

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Der Wal im Garten Verkehrte Welt? Ein Bilderbuch von Sabine Rufener Text: Kirsten Winderlich Fotos: Elisa Bauer Die Geschichte beginnt mit einem Morgen, an dem alles anders war: Die Stimmung, der Rhythmus, die Rituale – wie als wäre man mit dem falschen Fuß aufgestanden. Wer kennt das nicht? Bei Lille war es noch ein wenig anders. »Irgendetwas versperrte ihr die Sicht. Es war grau und roch ein bisschen nach Meer.« Mit diesen Worten leitet Sabine Rufener die Veränderung ein, die keine kleine ist, und letztlich nicht nur eine Person und ein Leben betrifft. Ein Wal liegt auf dem Fahrrad von Lille. Eine absurde Vorstellung! Aber wie kommt er dorthin und wie wieder fort? Oder besser: Wie kommt er dorthin, wo er hingehört? Fragen werden aufgeworfen, die nicht nur Lille betreffen, sondern unsere Erde insgesamt – Fragen, die notwendiger als denn je zu stellen sind! Die Geschichte und ihre Bilder, in denen (Tusch-)Zeichnung und Druck sowie das Zusammenspiel von Licht und Schatten zur Wirkung kommen, können auf unterschiedlichen Ebenen betrachtet werden. Zum einen wird erzählt, wie Lille den Wal kennenlernt, sich in ihn einfühlt und dabei mit zunehmenden Begegnungen Gefühle des Befremdet-Seins weichen. Zum anderen wird die Bedrohung unserer Umwelt thematisiert, […]
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Tina hat Mut

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Tina hat Mut Übergänge in die Welt Ein Bilderbuch von Tatia Nadareischwili Text: Kirsten Winderlich Fotos: Elisa Bauer »Tina wohnte mit ihrer Mama und ihrem Papa in einem Holzhaus auf dem Land. Eigentlich hieß sie Tinatin, aber alle nannten sie Tina. Ihr Hund hörte auf den Namen Poppy.« Mit diesen Worten beginnt Tatia Nadareischwili die Geschichte eines Mädchens zu erzählen, dessen Alltag viele Gemeinsamkeiten mit ihrer eigenen Kindheit hat – wie sie in ihrem Nachwort berichtet. Auch die Bilderbuchmacherin wuchs auf dem Land auf und lebte in einem kleinen Holzhaus auf Stelzen. Ihr Lieblingsort war ein benachbarter Bambuswald. Und wie Tina hatte Tatia Nadareischwili in ihrer Kindheit einen Hund mit rötlichem Fell. In der Bilderbuchgeschichte heißt Tinas Hund Poppy und ist so rot wie eine Mohnblume. Die kolorierten Zeichnungen und Collagen weisen wenige Farben auf, umso mehr stechen die Farben Grün und Rot hervor: Das Grün, das für den Bambuswald, den Sehnsuchtsort Tinas, steht, und das Rot, das das Zuhause, den Ort der Geborgenheit, sowie die Protagonisten Tina und ihren Hund Poppy markieren und als unzertrennlich miteinander verbinden. Gegen Ende der Geschichte wird noch ein weiterer Ort in roter Farbe erscheinen. Aber dazu später! Tinas Kindheit war eine glückliche und […]
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Ginting und Ganteng

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Ganz nah — Eine Reportage über die Auswilderung eines Orang-Utan-Zwillingpaares »Ginting und Ganteng« von Regina Frey und Petra Rappo (Ill.) Text: Kirsten Winderlich Fotos: Elisa Bauer Für die Zukunft des Regenwaldes, der zwar fernab von unserem alltäglichen Lebensmittelpunkt liegt, tragen wir mehr Verantwortung, als wir vielleicht wahrhaben wollen. Fundierte Informationen können helfen zu verstehen, wieso der Palmölanbau die Flora und Fauna der Regenwälder und damit auch die Lebensgrundlage von Millionen von Kleinbauern zerstört und wie wir durch eine Veränderung unseres Konsumentenverhaltens entgegenwirken können. Vor uns liegt ein Bilderbuch, dem genau dieses mit Sachverstand und Einfühlungsvermögen auf beeindruckende Weise gelingt. Regina Frey (Text) und Petra Rappo (Bild) berichten aus unmittelbarer Anschauung in Form einer Reportage über eine besondere Spezies Menschenaffen, den Orang-Utans, die auf Sumatra, einer der größten Inseln der Welt, leben und gleichzeitig bedroht sind durch den Palmölanbau. Über Text, der zwischen Sachbericht und atmosphärischen Beschreibungen changiert, sowie dramaturgisch gekonnt komponierte Bilderfolgen verhelfen sie uns, einem Orang-Utan-Zwillingspaar mit den Namen Ginting und Ganteng nahe zu kommen. Beide sind in einer Auffang- und Pflegestation für Orang-Utans zur Welt gekommen und aufgewachsen und müssen nun alles Überlebenswichtige von ihrer Mutter lernen, um nach ihrer geplanten Auswilderung in der Wildnis zu überleben. Die […]
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Esthers Tagebücher

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Aus dem Leben einer Dreizehnjährigen Text: Kirsten Winderlich Fotos: Elisa Bauer Mit „Esthers Tagebücher“ veröffentlichte Riad Sattouf eine Reihe von Graphic Novels und erobert damit nicht nur die Herzen der Teenager. In Bild und Text erzählen die Bücher aus dem Leben eines Mädchens. Oder besser: Sie schildern das Leben aus der Perspektive Esthers als zehn-, elf-, zwölf- und nun auch als 13-jährige. Was für ein Projekt und welch eine Herausforderung! Vor dem Hintergrund, dass das Vorhaben einen Zeitraum von zehn Jahren umfasst, stellt sich sofort die Frage, was Esther erleben, denken und fühlen wird, wenn sie 20 Jahre alt ist. Stopp! So weit sind wir noch nicht. „Wir“ meint in diesem Fall Riad Sattouf und Esther A., zwei Menschen, die im Gespräch und an der Welt interessiert sind – unabhängig von Alter, Herkunft und Kultur. „Die Erzählungen in ‚Esthers Tagebücher‘ basieren auf wahren Erlebnissen und Gedanken eines jungen Mädchens aus Riad Sattoufs Bekanntenkreis“, heißt es auf der letzten Seite. Im Klappentext wird die Kooperation besiegelt, denn Esther kommt zu Wort: „Ich heiße Esther und bin 13 Jahre alt. Es gibt mich wirklich und ich erzähle dem Zeichner Riad Sattouf Geschichten aus meinem Leben…“ Riad Sattouf zeichnet, was er von Esther […]
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Einer von vielen? Zur Geschichte eines Kanarienvogels

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»189« von Dieter Böge und Elsa Klever (Ill.) Text: Kirsten Winderlich Fotos: Elisa Bauer Die Bilderbuchwerkstatt der grund_schule der künste musste angesichts der Maßnahmen gegen Covid-19 per Videokonferenz im sogenannten »Home Office« stattfinden. Um so mehr danke ich Ada, Ida, Lucie, Una und Vicco für das gemeinsame Betrachten des Bilderbuches, das mir unverzichtbare Zugänge geschenkt hat. »Dies ist die Geschichte einer langen Reise, aber ich werde sie so kurz wie möglich erzählen, weil das Ende ganz schön ist.« Mit diesen Worten setzt die Bilderbuchgeschichte von Dieter Böge und Elsa Klever ein und verführt uns, sofort die letzten Seiten aufzuschlagen und von hinten zu beginnen! Am Ende des Buches entdecken wir eine Doppelseite Kanarienvögel. Sind es wirklich 189 Stück? Und jeder Vogel ein Unikat? Nach wiederholter und eingehender Betrachtung ist kein doppeltes Exemplar zu entdecken. Und selbst wenn sich eine Kopie andeutet, ist diese Anmutung schnell entkräftet. Das Gefieder, die Haltung, der Blick – immer ein Hauch anders. Blättern wir weiter zurück, stöbern wir in einem sogenannten Kanarienvogelgeschichtlichen Nachwort. Diesem Begriff muss man erst einmal nachspüren. Auf alle Fälle wird nach dem Lesen und Betrachten des Nachwortes klar, dass Kanarienvögel es verdient haben, gewürdigt zu werden. Was für eine Geschichte und […]
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Vom Aufbrechen und Ankommen

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Der Gipfelstürmer von Pierre Zensius Text: Kirsten Winderlich Fotos: Elisa Bauer Es gibt Menschen, die sich leidenschaftlich mit einem Wunsch oder einem Projekt verbunden fühlen und dabei nicht müde werden ihren Traum zu realisieren. So jemand war auch Horace Bénédict de Saussure, ein Schweizer Naturforscher und Geologe des 18. Jahrhunderts, von dem das Bilderbuch »Der Gipfelstürmer« erzählt. Er wollte den Mont Blanc, den höchsten Berg der Alpen, besteigen und war von dieser Idee wie besessen. In seinen Schriften, dem »Journal de l’ascension du Mont Blanc« sowie den »Voyages dans les Alpes« hält er seine Expeditionen zum Gipfel fest. Sie sind die Grundlage für das Bilderbuch des französischen Animations-Künstlers Pierre Zensius, in dem er die Geschichte der Erstbesteigung des »weißen Giganten« im Jahr 1787 brilliant in Bild und Text festhält und diese dabei durch humoreske und absurde Einlassungen jenseits einer Mythifizierung Saussures erzählt. So werden die an der Expedition beteiligten Alpinisten, laut Vorwort 18 an der Zahl, sowie dem berühmten Jacques Balmat, unter dessen Führung Saussure die Expedition durchführte, als Hofstaat karikiert. Dann können wir gleich auf der ersten Seite noch einen Hund entdecken, der die Expeditionsgruppe begleitet. Nichts an Kleidung und Equipment erinnert an eine professionelle alpine Expedition. Vielmehr werden […]
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Das Leben leben

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Das Leben leben Zum „Stundenbuch des Jacominus Gainsborough“ * Text: Kirsten Winderlich Fotos: Elisa Bauer Was heißt es, auf die Welt zu kommen, auf der Welt zu sein? Was bedeutet es, das Leben zu leben? In dem Bilderbuch von Rébecca Dautremer entfaltet sich vor uns ein Leben, das es wert ist, erzählt zu werden, wie die Autorin und Illustratorin in ihrem Prolog an die Kinder schreibt. Was aber macht jemanden aus, dessen Leben sich zu erzählen lohnt? Handelt es sich um jemanden, die oder der sich auf besondere Weise hervorgetan und verdient gemacht oder der Nachwelt einen Schatz hinterlassen hat, ein Kunstwerk beispielsweise? Rébecca Dautremer hilft uns bei der Suche nach Antworten mit zwölf Bildszenen, neun Porträts und drei Bildersammlungen, die sie kunstvoll zur Lebensgeschichte des kaninchenartigen Wesens Jacominus Gainsborough verknüpft. Die Zeichnungen auf dem Vorsatzpapier am Anfang wie am Ende des Buches machen deutlich, dass zum Leben eines einzelnen Wesens immer auch die anderen gehören. So entdecken wir in den Bildern Jacominus inmitten einer kleinen Gesellschaft von Mischwesen mit Tierköpfen und menschlichen Körpern, inmitten von Kindern und Erwachsenen, Familienmitgliedern und Freunden. Wo sein Platz in dieser Gesellschaft und später in der Welt sein wird, ist zu Beginn des Buches […]
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Zusammenkunft in den Dünen

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Zusammenkunft in den Dünen Zum Bilderbuch „Der kleine Fuchs“ von Edward van de Vendel und Marije Tolman (Ill.)* Text: Kirsten Winderlich Fotos: Elisa Bauer „Guck mal, ich hab auch einen Fuchs!“ Stolz zeigt das Mädchen auf ihren Fuß. Tatsächlich ist das Motiv ihrer Socke dem Held der Bilderbuchgeschichte von Edward van de Vendel und Marije Tolman sehr ähnlich. Zuhause in einer Dünenlandschaft am Meer, die gleich mehrere an der Bilderbuchbesprechung beteiligten Kinder als Nordsee identifizieren, spielt der junge Fuchs inmitten von Möwen, Austernfischern und anderen Küstenvögeln am Strand. Die Kinder bemerken, dass der Fuchs einen Kormoran nachahmt. Er wolle auch fliegen, sind sie fester Überzeugung. Der Fuchs wagt sich schließlich in den angrenzenden Kiefernwald vor und trifft dort auf andere Tiere. Neugierig blickt der Protagonist auf ein Rotkehlchen. „Er will es nur kennenlernen und nicht fressen“, interpretiert ein Junge die Körperhaltung des Tieres. Auf den Folgeseiten entdeckt der Fuchs zwei Schmetterlinge, denen er zurück in die Dünen folgt. Nach fünf doppelseitigen Dünenlandschaftsbildern ohne Text wird die schriftliche Erzählung am oberen Rand der linken Buchseite initiiert. Und wir erfahren den profanen wie gleichzeitig auch erstaunlichen Grund für die Aufnahme der Verfolgung der Falter: Sie sind lilafarben! Die flatternden Farbtupfer sind es […]
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