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Aber ich lebe

Text: Kirsten Winderlich Repros: Elisa Bauer „Aber ich lebe“ ist eine Graphic Novel zum Holocaust, die nach einer kollektiven Forschungsarbeit entstand, in der Barbara Yelin, Miriam Libicki und Gilad Seliktar in einen Austauschprozess mit Holocaust-Überleben- den traten. Das Forschungsprojekt wurde 2019 von Charlotte Schallié ini- tiiert und beteiligte über einen Zeitraum von drei Jahren auch Experten für Holocaust- und Menschenrechtspädagogik, Historiker*innen, Lehrkräfte, Lehramtsstudierende, Bibliothekare und Archivare.  Visuelles Erzählen eignet sich „besonders für die Geschichten von Über- lebenden, die im Holocaust noch Kinder waren. Denn Bilder prägen sich tief in das Gedächtnis von Kindern ein.“1 So vermittelt das Bilderbuch nicht nur die „Zeugnisse“ der Überlebenden, sondern kann im Sinne des (Auf-) Zeichnens auch Erinnerungen hervorlocken. Konkret wurden drei Künstler*innen, Barbara Yelin, Miriam Libicki und Gilad Seliktar, eingeladen, sich mit vier Kinderüberlebenden des Holocaust zu treffen und gemeinsam mögliche Themen und Handlungsstränge ihrer persönlichen Geschichten aufzuspüren. „Auf der Grundlage dieser kreativen Sitzungen entwickelten sie erste Entwürfe und Storyboards, um die Erinnerungen und Reflexionen von David Schaffer, Nico und Rolf Kamp und Emmie Arbel in visuelle Erzählungen umzusetzen, die die Integrität, Individualität und Würde der Überlebenden und ihre Erfahrungen respektieren.“2  Entstanden sind drei visuelle Erzählungen, in denen nicht nur Vergangenheit und Gegenwart ineinandergreifen, […]
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Zug der Fische

Text: Kirsten Winderlich Repros: Elisa Bauer Kaum merkbar schlängelt sich ein Fluss vor der riesigen, schneebedeckten Gebirgskette ins Bild. Blau leuchtende Fische gleiten über die Steine auf seinem Grund. „Der Brusturka fließt durch das ganze karpatische Dorf Brusturiv. Für die Kinder und Kühe ist er das beliebteste Versteck im Sommer. Hier ist ihr Reich. Hier findet sie keiner.“  Was wie eine Idylle anmutet, ist ambivalent. Im Bilderbuch „Zug der Fische“ erzählen Yaroslava Black und Ulrike Jänichen die Geschichte von Kindern in der Ukraine, die den Alltag und ihr Überleben ohne Eltern sichern müssen. So auch Marika. Ihre Mutter arbeitet in Italien und kommt auch dieses Weihnachten nicht nach Hause. „Sie sagt, sie muss Geld sparen und wird Marika durch Western Union ein paar große Geld- scheine schicken.“  Das Geld, das die Eltern ihren Kindern aus der Ferne schicken, ist meist der größte Teil des Familieneinkommens, schreibt der Journalist Keno Verseck in seinem Nachwort. Die Eltern sind also nicht verantwortungslos und lassen ihre Kinder nicht ohne Grund allein. „Das wissen die Kinder. Und das ist vielleicht auch, was sie am meisten zerreißt: Die große Sehnsucht nach den Eltern begleitet sie ständig, sie ist eines der Grundgefühle im Alltag. Gleichzeitig sollen sie […]
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Die Schule 

Text: Kirsten Winderlich Repros: Elisa Bauer Dass man in der Schule nur lernen kann, wenn man sich wohlfühlt, weiß jedes Kind. Dass Klassen- und Schulgemeinschaft ohne das Engagement der Schülerinnen und Schüler, der Lehrkräfte, Eltern, Hausmeister und Sekretärinnen nicht gelebt werden kann, wollen viele nicht wissen. Warum wird nicht mehr dafür getan, dass sich Kinder in der Schule an- und aufgenommen fühlen? Warum wird zugelassen, dass Kinder ausgeschlossen und gedemütigt werden? Und warum haben so viele Kinder Angst, Diskriminierungen unmittelbar zu begegnen? Britta Teckentrup konfrontiert uns in ihrem Bilderbuch nicht nur mit dem Mikrokosmos Schule, in dem Ausgrenzung und Mobbing an der Tagesordnung sind, sondern führt uns mit ihrer Erzählerin, einer Schülerin, vor, wie den Kindern mit Einfühlungsvermögen und Wahrnehmungsfähigkeit, Offenheit und Toleranz, Engagement und Mut so begegnet werden kann, dass alle Stärkung und letztlich Bildung erfahren können.  Ob Schule nicht nur ein Aufenthaltsort, sondern auch ein würdiger Lebensort sein kann, hängt von den Menschen ab, die diesen Ort tagtäglich betreten. Entsprechend fokussiert die Künstlerin mit ihren analog wie digital produzierten Collagen aus divers bedruckten Papieren Mimik, Blicke und Körperhaltungen. So können wir wahrnehmen, wie Max allein auf dem Schulhof sitzt, den Blick gesenkt hält und die Arme angespannt an […]
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Ich bin wie der Fluss 

Text: Kirsten Winderlich Repros: Elisa Bauer Am Morgen ist noch alles in Ordnung. Der Junge wacht mit dem Klang der Wörter auf. „B für den Baum draußen vor meinem Fenster. K für die Krähe in seinen Zweigen“, nimmt er wahr. Wenig später treibt das B jedoch Wurzeln in seinem Mund, die seine Zunge umzingeln. Und die Krähe krallt sich in seinen Rachen. Der Junge kann den Klang der Wörter zwar hören. Er kann sie aber nicht sagen. Er stottert. Und so beginnt sein Tag wortlos.  In der Schule wird es schlimm. Inständig hofft der Junge, dass er nichts sagen muss. Er hat Angst davor, dass ihn alle anschauen werden, denn sie „sehen nicht den Baum, der mir statt der Zunge zwischen den Lippen wächst. Sie hören nicht die Krähe Rax! Rax! in meinem Rachen krächzen.“ Sydney Smith zeigt diese Angst und Bedrängnis, angeschaut zu werden, auf einer Bildseite, die er mit 16 aquarellierten Porträts übersät. Wir betrachten Gesichter, die aquarelliert in ihrem Ausdruck schemenhaft, verzerrt und tränenüberströmt wirken. Wenn es gar nicht mehr geht, muss der Vater seinen Sohn abholen. So auch heute. „In mir hat sich alles verklumpt, so schlimm war es noch nie“, sagt der Junge. Der Vater […]
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Ins Museum!

Über die Museumskarten von Kirsten Winderlich und Mark Lammert Text: Helen Naujoks Fotos: Stefanie Johns Sind es Objekte? Gute Frage. Das weiß ich gar nicht so genau. Unter Objekt habe ich mir noch nie eine Museumskarte vorgestellt. Was aber ist es, wenn es kein Objekt ist? Diese Museumskarte ist auf jeden Fall ein Stück Papier, das gut in der Hand liegt und eine raffinierte Faltung hat. Sie gibt erste Hinweise darauf, was sich darin verbergen könnte ohne gänzlich zu verraten, was genau es ist. Dieses gefaltete Papier funktioniert ein bisschen wie eine Schatztruhe, in deren Schloss schon der Schlüssel steckt, der nur noch umgedreht werden will. Oder wie ein Blick durchs Schlüsselloch selbst, der einen Ausschnitt umreißt, aber eben nicht alles zeigt. Die Karte macht neugierig und möchte entschlüsselt und aufgefaltet werden. Ohne zu viel nachzudenken, lande ich zuerst auf der farbigen Seite und lese die rote, handschriftlich verfasste Beschreibung der Lieblingsfigur einer Person. »Wer ist diese Person, die über ihre Lieblingsfigur schreibt?«, frage ich mich. Sie mag wohl jemand sein, die sich Zeit genommen hat, eine Widmung oder besser eine Liebeserklärung an ein Objekt zu verfassen. Deshalb vielleicht auch die rote Schrift. Ich tauche ein in einen intimen Moment […]
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Ein Kind verschwindet

Jens Thieles neues Bilderbuch brilliert mit einem Tabuthema: Ein Kind verschwindet. Text: Kirsten Winderlich Der erste Gedanke: Was für eine Katastrophe! Sofort denken wir an Kinder, die plötzlich und unerwartet einfach nicht mehr da sind und von denen Angehörige nie mehr etwas erfahren werden. Wurden sie entführt? Sind sie noch am Leben? Oder sind sie einem Verbrechen zum Opfer gefallen? Neben diesen bedrückenden Szenarien gibt es auch positive Beweggründe für das Verschwinden eines Kindes, entwicklungspsychologisch begründete und damit das Kind auch stärkende. Wer kennt den Wunsch nicht aus seiner eigenen Kindheit, einfach einmal weg zu sein, aus Abenteuerlust in die Welt zu gehen, sich dabei zu spüren oder einfach an einem anderen Ort als zu Hause zu sein? Das Fort-Gehen und Fort-Sein kann demnach auch als aus dem Inneren motivierte Lust an der Auseinandersetzung mit dem Anderen und Fremden verstanden werden, als Herausforderung, an der Kinder wachsen, wachsen wollen. Und genau an dieser Schnittstelle bewegt sich Jens Thieles neues Bilderbuch: zwischen der Sehnsucht von Kindern, woanders zu sein, und dem gleichzeitig auch als verunsichernd oder gar beängstigend und bedrohend erlebten Zustand, während der geschützte Raum des gewohnten Alltags – das Zuhause – verlassen wird. Um diese zerbrechlichen Übergänge zwischen innerem […]
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Mein Buch — Rezension

Fotos: Elisa Bauer Text: Jens Thiele Bilderbücher, die ihre Adressaten aus der Rezeptionshaltung heraus­locken und zur aktiven Gestaltung motivieren wollen, haben es auf dem Buchmarkt traditionell schwer. Sie werden oft in die Sach- und Spielbuchecke gedrängt. Einen ähnlich schweren Stand haben Bilderbücher, deren Illustrationen von Kindern und nicht von professionellen Illustratoren angefertigt werden; auch sie sind auf dem Markt nicht nachgefragt, wie zahlreiche Versuche belegen. Mit diesen beiden Hypotheken geht Mein Buch an den Start, ein Projekt, das in der grund_schule der künste an der Universität der Künste Berlin in Kooperation mit wamiki entwickelt wurde. Es geht um einen offenen, kreativen Umgang mit Sprache und Bildern, mit Buchstaben, Wörtern und Bildzeichen. Es geht um Zugänge zur Bildung durch eigene Erfahrungen mit dem Erzählen von Geschichten. Was zunächst nach einem Lernlesebuch für die Grundschule klingt, ist tatsächlich etwas grundlegend Anderes. Das wird schon am Design deutlich: Man öffnet nicht ein Buch, sondern eine Pappschachtel, in der drei Hefte sowie zwei dicke Buntstifte liegen, ergänzt durch einen Stapel leerer Buchseiten. Heft 1 bietet Ansätze von Geschichten, überwiegend in Bildern erzählt, die Kinder angefertigt haben. Diese Geschichtsanfänge können weitererzählt oder umgedeutet werden, durch eigene Zeichnungen auf freien Heftseiten oder durch Hineinzeichnen in vorhandene […]
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