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Kayabu

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Kayabu
Eine Geschichte aus Amazonien
Eymard Toledo

Text: Kirsten Winderlich
Fotos: Elisa Bauer

Konzept der Bilderbuchwerkstatt: Kirsten Winderlich, Elisa Bauer und Helen Naujoks
Durchführung: Elisa Bauer, Helen Naujoks und Gaspar Scholl Chafirovitsch

Amazonien sei dort, wo sich alle verstecken, heißt es gleich zu Beginn in einem Tagebucheintrag von der brasilianischen Künstlerin Eymard Toledo. Sie schreibt, dass sich dort Tiere vor anderen Tieren, Tiere vor Menschen, Menschen vor Tieren und sogar auch Menschen vor anderen Menschen verstecken. Rodungen, Raubbau und Rauchwolken nehmen im Regenwald Tieren wie Menschen ihre Schutzräume, ihre Lebensgrundlage, und sind damit für deren Vertreibung verantwortlich. Wie lange wird es Amazonien mit seiner einzigartigen Artenvielfalt, seinen Ureinwohner und ihren Sprachen, seiner satten Farbenpracht und unvergesslichen Fulminanz diverser Geräusche und Klänge wohl noch geben? Eymard Toledo widmet sich dieser Frage mit unmissverständlicher Stimme wie behutsamen Tönen, erzählt die Geschichte von Kayabu und Naná durch farbgewaltige Textil- und Papiercollagen und auktorialen Duktus, der die Perspektive der Beobachtung unterstreicht. Grundlage für das Bilderbuch Toledos sind nämlich ihre Erlebnisse und Erfahrungen auf einer Reise zu der Familie ihrer Freundin Nara, die im brasilianischen Regenwald an einer Flussmündung des Urubu lebt. Die Collagen sind so angelegt, dass sie unsere Wahrnehmung auf charakteristische Aspekte des Alltags der Dorfgemeinschaften lenken und unseren Blick auf Ausschnitte entsprechender Szenen fokussieren. So nehmen wir gewissermaßen durch die Augen Toledos wahr, wie Naná am Fluss vor dem Hintergrund des Dorfes, bestehend aus Pfahlbauten, angelt. Auf einem anderen Bild können wir zusehen, wie Kayabu und seine Geschwister die Fische mit Pfeil und Bogen jagen. Wir können entdecken, wie die Hütten in der Regenzeit unter Wasser stehen und sich die Menschen auf Stegen durch die Innenräume bewegen. Und schließlich erfahren wir, wie selbstverständlich die Generationen miteinander wie mit den Tieren leben. Im Nachwort schreibt Toledo, dass sie, beeindruckt von der Gastfreundschaft und Großzügigkeit der Ureinwohner, viel von ihnen über den Regenwald, den Amazonas, seinen Nebenflüssen, der Art und Weise, wie die Menschen leben, arbeiten und feiern, gelernt habe. Unter anderem wurde Toledo von ihnen auch mit der Geschichte von Kayabu und Naná beschenkt, die sie mit ihrem Bilderbuch weitergeben möchte. Kulminieren in dieser Freundschaft doch die Folgen von Kolonialisierung und Zerstörung der Lebensgrundlage indigener Gemeinschaften. So werden wir Zeuge, wie die Lehrerin Kayabu an seinem ersten Schultag diskriminiert. Obwohl alle anderen Kinder ihre Tiere in die Schule mitbringen dürfen, verbietet sie dieses Kayabu. Faultiere seien im Unterricht nicht erlaubt, sagt sie. Zum Glück entgegnet ihr Naná, indem sie aufzählt, welche Tiere dem Unterricht schon beigewohnt hätten: ein Ozelot, eine Familie von Gürteltieren oder gar eine Königsschlange. Die Lehrerin bleibt jedoch unerbittlich. Und so zieht es sich fort. Kayabu und seine Familie, die aufgrund der Rodungen aus dem Regenwald vertrieben wurden, erleben erneut, dass ihre Lebensweise nicht gewünscht ist und unterdrückt wird. Immer wieder werden sie damit konfrontiert, sich an Umgangsformen, Regeln und Haltungen anzupassen, die nicht von ihnen gelebt werden. Sei es, dass Kayabu keinen Zugang zur Geldwirtschaft hat oder sei es, dass er im Freien schläft. Und umgekehrt scheint außer Naná niemand im Dorf Kayabus Fähigkeiten wahrzunehmen und zu schätzen: Seine Handfertigkeit, gemeinsam mit der Familie aus einem Baumstamm ein Kanu zu schnitzen, sein unglaubliches Geschick, ein Boot zu steuern, seine innere Uhr, auf deren Pünktlichkeit Verlass ist, seine Fähigkeit, sich im dschungelartigen Wegenetz des Regenwaldes zu orientieren. Keine Frage, dass Naná der plötzliche und doch vor dem Hintergrund der permanenten Unterdrückung erwartbare Weggang Kayabus traurig stimmt. Und keine Frage, dass sie hofft, eines Tages so gut paddeln zu können wie Kayabu, wie er die Sternenbilder am Himmel lesen zu können – und ihn irgendwann wiederzusehen.

Eymard Toledo
Kayabu 

Eine Geschichte aus Amazonien
Aus dem Portugiesischen von Michael Kegler
Baobab 2024
52 Seiten, gebunden, 30 x 21,5 cm
ISBN: 978-3-907277-24-9
€ (D) €: 22 / (A): 22,70 / CHF: 25

Anregungen zur erweiterten ästhetischen Rezeption

Was passiert, wenn der Amazonas-Regenwald ›seine Farbe‹ verliert. Ausgehend von dem von Eymard Toledo im Nachwort beschriebenen Phänomen, dass die Schmetterlinge in den gerodeten Gegenden des ursprünglichen Regenwaldes ihre Farbe verlieren, das heißt sich an das Grau der verbrannten Erde und der Betonbauten anpassen, ist die Idee, den Bildern Toledos ›die Farbe zu nehmen‹. Werden von Kindern im Kunstunterricht häufig stereotyp ›bunte‹ Bilder gefordert, soll mit diesem Impuls eine doppelte Differenzerfahrung initiiert werden: Zum einen erhalten die Kinder die Gelegenheit, einen künstlerischen Prozess in Bezug auf Farbe anders als gewohnt zu gestalten. Und zum anderen erfahren sie durch die Wegnahme von Farbe das Verschwinden des Regenwaldes. Materialbezogen sind für das Setting einer erweiterten ästhetischen Rezeption folgende Optionen vorstellbar:
Die Verwendung von Tipp-Ex oder Sand auf Farbfotokopien einzelner Bilder Toledos. Alternativ können ebenfalls Blätter verwendet werden, die ausschließlich die Bilder als Schwarz-Weiß-Konturen zeigen. Hier können die Kinder mit Hilfe zarter Lasuren den Verlust von Farbe nachempfinden.