Text: Kirsten Winderlich
Repros: Elisa Bauer
Dass man in der Schule nur lernen kann, wenn man sich wohlfühlt, weiß jedes Kind. Dass Klassen- und Schulgemeinschaft ohne das Engagement der Schülerinnen und Schüler, der Lehrkräfte, Eltern, Hausmeister und Sekretärinnen nicht gelebt werden kann, wollen viele nicht wissen. Warum wird nicht mehr dafür getan, dass sich Kinder in der Schule an- und aufgenommen fühlen? Warum wird zugelassen, dass Kinder ausgeschlossen und gedemütigt werden? Und warum haben so viele Kinder Angst, Diskriminierungen unmittelbar zu begegnen? Britta Teckentrup konfrontiert uns in ihrem Bilderbuch nicht nur mit dem Mikrokosmos Schule, in dem Ausgrenzung und Mobbing an der Tagesordnung sind, sondern führt uns mit ihrer Erzählerin, einer Schülerin, vor, wie den Kindern mit Einfühlungsvermögen und Wahrnehmungsfähigkeit, Offenheit und Toleranz, Engagement und Mut so begegnet werden kann, dass alle Stärkung und letztlich Bildung erfahren können.
Ob Schule nicht nur ein Aufenthaltsort, sondern auch ein würdiger Lebensort sein kann, hängt von den Menschen ab, die diesen Ort tagtäglich betreten. Entsprechend fokussiert die Künstlerin mit ihren analog wie digital produzierten Collagen aus divers bedruckten Papieren Mimik, Blicke und Körperhaltungen. So können wir wahrnehmen, wie Max allein auf dem Schulhof sitzt, den Blick gesenkt hält und die Arme angespannt an den Körper presst. Er hat Angst vor Tom. Alle haben Angst vor Tom, und niemand traut sich, ihn in die Schranken zu weisen. Vielmehr scheinen sich einige Jungen von seinem gewaltvollen Gehabe angezogen zu fühlen und rotten sich auf dem Schulhof mackerhaft zusammen. Lisa ist mutiger.
„Sie ist die Einzige, die Max manchmal tröstet.“ Seitenfüllende Porträts zeigen die traurigen Augen von Max, der den Kopf entmutigt auf die Arme stützt. Lisa hockt sich zu ihm und wendet sich ihm mit einfühlsamem Blick und körperlicher Nähe zu. Doch Max ist nicht der einzige, dem es nicht gut geht. „Paula verschläft fast immer! Sie hat sogar aufgehört, jeden Morgen Entschuldigungen für ihr Zuspät- kommen zu erfinden.“ Da Paulas Eltern wegen ihrer Arbeit das Haus immer schon sehr früh verlassen müssen, ist Paula ganz auf sich gestellt und muss sich selbst aufwecken. Klar, dass sie ihre Augen nur mit Mühe offenhalten kann. Laura hingegen mag keinen Sportunterricht. Sie wird immer als letzte in die Teams gewählt.
Neben dem erzählenden Text finden wir auf einigen Seiten Textbau- steine in unterschiedlichen Schrifttypen und -größen, die das Erleben und Fühlen der einzelnen Kinder reflektieren – auch das von Laura. Laura leidet unter dem Sportunterricht, weil sie immer als letzte in die Gruppen gewählt wird, und fragt entsprechend: „Warum lässt Herr Peters überhaupt Schüler wählen? Der könnte es doch dann ganz gerecht machen. Ist er einfach zu faul, es selbst zu tun?“ Vor dem Hintergrund, dass der Kunstunterricht eigentlich der Ort sein sollte, an dem die Schülerinnen und Schüler sich mit ihrem individuellen künstlerischen Ausdruck beschäftigen, ist mehr als unverständlich, dass Kinder, sogar diejenigen, denen das künstlerische
Arbeiten Freude macht, den Kunstunterricht meiden. So auch Johannes: Auf der sein Porträt mit resigniertem Blick flankierenden Textseite stellt Johannes folgende fundamentale Frage: „Kann einem ein Lehrer die Freude an seinem Lieblingsfach nehmen?“
Max würde ihn verstehen. Blättern wir noch einmal zu ihm zurück, zeigen Britta Teckentrups Porträts von Max, wie ein zum eigenen Schutz in Abschottung verharrendes Kind sich für die Welt und die anderen Menschen öffnen kann, wenn es Anteilnahme, Unterstützung und Stärkung erfährt: „Du bist toll, genauso wie du bist!“
Dieser Beitrag ist in der Publikation »Verwundbare Kindheiten. Eine Anthologie zeitgenössischer Bilderbuchkunst« erschienen. Hier geht es zur Publikation mit weiteren spannenden Bilderbüchern:
https://wamiki.de/shop/buecher/verwundbare-kindheiten-eine-anthologie-zeitgenoessischer-bilderbuchkunst/
Britta Teckentrup
Die Schule
Jacoby & Stuart 2018
128 Seiten, durchgehend farbig illustriert
Hardcover, 17.9 x 1.8 x 24.2 cm
ISBN: 978-3-964-28000-8
€ (D): 19,00 / € (A): 19,90 / CHF: 29,90
Anregungen zur erweiterten ästhetischen Rezeption
Und wie ist es in deiner Schule?
Hast du Situationen erlebt, von denen du sagst: „Das geht nicht!“ Magst du sie aufschreiben oder aufzeichnen?