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Schlich ein Puma in den Tag

Schlich ein Puma in den Tag
Verena Pavoni (Ill.)
Lena Raubaum

Text: Kirsten Winderlich
Fotos: Sophia Ashraf und Lucia Leonhardt

Ein paar hellbraune Striche auf weißem Grund lassen auf der ersten Seite rätseln. Weitere geben Form und Farbe auf der nächsten Seite. Dann erscheint ein raubtierartiger Kopf. Ein Löwe vielleicht … der uns Betrachtenden mit strahlend-stechenden Augen direkt anblickt. Im Folgenden tritt uns dieser wie durch eine milchig-glasige Scheibe gegenüber. Und dann: Eine stückweise schwarze Verwandlung. Immer noch sticht ein Auge hervor. Kein Löwe, sondern: »Schlich ein Puma in den Tag / regte sich / bewegte sich«, heißt es im poetischen Text von Lena Raubaum. Das schwarze Quadrat verdeckt den Puma fast vollständig. Aber nur beinahe, denn die Konturen von Kopf, Ohren, Augen, Schnauze, Nase und Maul sind noch erkennbar. Wie kann das sein? Ein Geheimtipp auf den letzten Seiten, über die wir angeregt werden, eigene Bilder dieser Art, der Wachskreide-Sgraffito, herzustellen, verrät es. Denn dort erzählt die Malerin Verena Pavoni folgendes: »Wenn du den Formen nachzeichnest, sind diese noch sichtbar, auch wenn das Bild ganz schwarz geworden ist.« Auf den nächsten Seiten legt die Künstlerin Gesicht und Kopf des »Puma concolor« Schritt für Schritt frei. »Schlich ein Puma in den Tag / regte sich / bewegte sich // Schlich ein Puma in den Tag / regte sich / bewegte sich / schritteleise / pfotenleise // erst ein Auge / dann das zweite // weiter, weiter …« Mit Hilfe eines Kratzinstruments erblicken zuerst ein Auge und dann ein zweites das Licht der Welt. Begleitet wird die Transformation durch ein iterinatives Gedicht, das mit der Wiederholung von Wörtern und Zeilen arbeitet und auf diese Weise von Bild zu Bild wächst. Das Gedicht endet dabei stets mit einer überraschenden Wendung oder einem spannenden Moment, wie die Autorin Lena Raubaum uns in ihrer Anleitung zum eigenen Tiergedicht nahebringt.

Nach der Inszenierung des Pumas folgen die des Laubfrosches, des Weißflecken-Kugelfisches, des grünen Leguans sowie die der Schleiereule. Immer wieder haben wir Teil an dem stufenweisen Auf- und Abbau der Bildproduktion und lauschen den Gedichten zu Wunsch- und Traumbildern wie Metamorphosen der Protagonisten. Vor dem Hintergrund dieser beeindruckenden Ästhetik, die auf einer Offenlegung der künstlerischen Entwicklungsprozesse von Bild und Text setzt, schleicht unmittelbar nach dem Zuklappen des wundervollen Bilderbuches ein neues Tier aufs Papier? Wenn ja, dann wären wir es jetzt, die das Tier malerisch-poetisch zum Erscheinen bringen.

Verena Pavoni (Ill.) / Lena Raubaum
Franziska Walther (Gestaltung)
Schlich ein Puma in den Tag
Kunstanstifter 2025
144 Seiten, durchgehend farbig illustriert
Hardcover, 24,4 x 2,3 x 29,7 cm
ISBN: 978-3-9-948743-41-3
€ (D): 28 / € (A): 28,80 / CHF: 34,70