PETRICHOR
Eine Fahrradtour durch die Stadt
Inga Krause
Text: Kirsten Winderlich
Fotos: Elisa Bauer
Leichter Sommerregen verdampft auf erdigen, pflanzendurchtränkten Naturböden im Wald wie auf gewöhnlichem Straßenasphalt in der Stadt – erstaunlicher Weise mit der gleichen betörenden Wirkung: PETRICHOR! Der Begriff »Petrichor« bezieht sich auf ein olfaktorisches Phänomen, bei dem durch eine besondere Mischung aus Regen und Sommerluft aromatische Aerosole aufsteigen. Mineralogen beschreiben diesen besonderen Duft seit den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts im Rückgriff auf die griechisch-etymologischen Wurzeln von Stein und Pflanzen.
Und nun kürt Inga Krause »dieses fabelhafte Wort« (Cornelia Funke) mit ihrem Bilderbuchdebüt, das bereits für den Hamburger Bilderbuchpreis (2019) wie für den Hans-Meid-Förderpreis (2022) nominiert wurde. Die Künstlerin inszeniert »Petrichor«, in dem sie ihre knallig farbigen Collagen abrupt grauer und grauer werden lässt. Die überwiegend in Schwarz gehaltene Schrägschraffur macht unmissverständlich deutlich: Es regnet! Für einen kurzen Moment verziehen sich die durch pralle, halbrunde Linien angedeuteten Münder der Passanten nach unten. Doch die offensichtliche Missstimmung dauert nicht lange. Noch während es Bindfäden regnet, hellen sich die Gesichter auf und die Menschen genießen unübersehbar den Nachhall des Niederschlags.
Wie spannend zuzuschauen, wie sich dieser atmosphärisch wirkende Duft mit den abstrakt-poppigen Bildern auf so unerwartete Weise kongenial »befreundet«! Eingestimmt durch den bilderreichen Prolog streifen wir Seite für Seite durch das Silent Book und begeben uns gemeinsam mit dem Protagonisten Isaak auf eine Fahrradtour durch die Stadt. Die farbprächtigen wie das Längsformat sprengenden analog-digitalen Collagen mit ihren kontrastreichen Musterbildungen spielen dabei mit dem Genre der Fassadenmalerei. Durch ihre eigensinnige visuelle Sprache lassen sie uns die Ohren spitzen und die Nase und die Augen öffnen für Gehörtes, Gestimmtes und Gefühltes.
Seite für Seite ziehen wir mit dem Fahrradfahrer vorbei an wechselnden Stadtkulissen, nehmen Fahrt auf und pendeln dabei zwischen Nah- und Fernperspektiven. Grafische Collageelemente der Stadtkulisse finden sich in den Figuren, Fahrzeugen, Tieren und dem Stadtmobiliar wieder und umgekehrt. Ihren Höhepunkt erreicht die Verschmelzung von Menschen, Gebautem und Atmosphärischem auf der letzten Seite. Durch ein Ins-Bild-Zoomen steht die Bedeutung der Wahrnehmungsorgane für unser Erleben außer Frage: Augen, Nase, Ohren, Mund werden nicht nur prominent »ins Bild gesetzt«, sondern sind auf das Gestimmte gerichtet. Im Grunde können wir die letzte Seite auch als Einladung begreifen, das Bilderbuch lustvoll wieder von Vorn zu betrachten und damit der Einladung des Prologs, mit allen Sinnen in die Stadt einzutauchen, erneut nachkommen – und unsere Erfahrung verdichten.
Inga Krause
PETRICHOR Eine Fahrradtour durch die Stadt
Kunstanstifter 2025
52 Seiten, gebunden, 32 x 23,80 cm
ISBN: 978-3-948743-17-8
€ (D): 26 / € (A): 26,80 / CHF: 36,40
Anregungen zur erweiterten ästhetischen Rezeption
Wie hört sich Stadt an? Wie riecht Stadt? Und wie kann ich meine Eindrücke von Stadt in Bilder übersetzen?
Inga Krause macht mit ihren abstrakt-poppigen Collagen Vorschläge und bringt das Sinnes-Erlebnis »Petrichor« in visuelle Szenen. Welche olfaktorischen Phänomene gibt es in den anderen Jahreszeiten? Welche Gerüche lassen sich zum Beispiel hervorlocken, wenn wir im Winter heißes Wasser auf den gefrorenen Boden gießen? Sind diese angenehm für uns? Welcher Name könnte das geruchsbezogene Phänomen treffend beschreiben? (Was gäbe es für Möglichkeiten für den Frühling oder den Herbst?)
An diese Einstimmung anknüpfend, ergänzen und erweitern die Kinder die Collage aus dem Bilderbuch um eigene experimentelle Malereien (Werkzeuge: Schwämme, Spachtel, Handschuhe). Hierfür könnten ausgewählte Seiten, miteinander kombiniert und auf einer großformatigen Papierbahn ausgedruckt und auf einer Innenwand angebracht, »bespielt« werden. In unserer Bilderbuchwerkstatt handelte es sich um eine Wand im Flurbereich, deren Vitrinen mit fotokopierten Figuren aus der Bilderbuchgeschichte bestückt wurden. Beim Vorbeigehen oder -rennen oder beim Rollen über den Flur (Einkaufs- oder Transportwagen, Roller oder Skateboards) ziehen die Figuren dabei in unserer Imagination in die neue Atmosphäre der Stadt. Welche Wortschöpfung erfinden »ihre« Kinder für die neu entdeckten Duft- Duftphänomene? Schreiben Sie uns gerne. Wir sind gespannt von Ihnen zu lesen: grundschulekunstbildung@udk-berlin.de
Der Workshop wurde mit einer 2. Klasse der Grundschule »Otto Lilienthal« Wustermark durchgeführt.
Konzept der Bilderbuchwerkstatt: Kirsten Winderlich, Elisa Bauer, Helen Naujoks
Raumgestaltung: Elisa Bauer und Helen Naujoks
Wandbild: Elisa Bauer unter Verwendung des Bilderbuches »Petrichor« von Inga Krause
Durchführung: Elisa Bauer, Helen Naujoks, Kirsten Winderlich unter Mitarbeit von Lucia Leonhardt und Yuqing Liu