Nie wieder Frühling
Sarah Knausenberger & Kerstin Marie Backes (Ill.)
Text: Kirsten Winderlich
Fotos: Sophia Ashraf und Lucia Leonhardt
Ein Junge und seine Großmutter, eine tote Welt und eine stumme Familie. Wie tragisch, dass die Großmutter, die Ben als Einzige in einer sich zunehmend verrohenden Gesellschaft Halt gibt, sterben wird.
»Nie wieder Frühling« ist eine dystopische Geschichte, die Sarah Knausenberger meisterhaft aus der Perspektive von Ben erzählt und Kerstin Marie Backes mit kolorierten Zeichnungen wie Collagekunst kongenial ins Bild setzt. Ihre Bilder spielen dabei mit Perspektivwechseln und Kontrasten zwischen Innen und Außen, der lebendigen Welt der Großmutter, in der Pflanzen gedeihen und der stumpfen wie farblosen Außenwelt, für die es keine Jahreszeiten mehr gibt.
Was passiert mit alten Menschen in einer Welt, in der alle erstarren, sich ausschließlich um ihr unglückliches Selbst drehen, in der es keine Empathie und Zuversicht mehr gibt? Nachdem die Großmutter einen Platz im Pflegeheim verweigert, dessen Name »Shady Acres« für sich spricht, stehen kurz vor ihrem Ableben Mitarbeitende eines Kryokonservierungsinstitut vor der Tür. Nicht nur respektlos, sondern energisch und entschlossen, treten sie den Wunsch der Großmutter, wie das Bild des überdimensionierten Schrittes eines Mannes in graublauem Anzug und Hut aus der Froschperspektive symbolisiert, »mit den Füßen«. Wie gut, dass die Großmutter Ben hat. Und wie schön, dass Ben sich auf Rachel verlassen kann. Denn Rachel hat schon vor einiger Zeit vom Fenster aus dabei zugesehen, wie Ben und seine ›Grandma‹ Blätter nach Farben sortiert und im Anschluss ein Wettschießen mit Pfeil und Bogen veranstaltet haben, bei der die Ältere wie selbstverständlich gewann. Obwohl Rachel erst die vierte Klasse besucht, hat sie sehr genau verstanden, welche Bedeutung die Großmutter für Ben im Besonderen aber auch im Sinne eines Vorbildes für uns ALLE haben könnte und bietet ihm ihre Hilfe an. Eine große Unterstützung, den Schmerz über den Tod seiner Großmutter zu verarbeiten, ist auch der Fuchs. Zu Lebzeiten hat die Großmutter diesen als verwaisten Welpen aufgezogen, sich solange liebevoll um ihn gekümmert bis er stark genug war, ausgewildert zu werden. Für die Zuwendung, die die Großmutter für ihre Pflanzen im Gewächshaus wie für das verwundete Tier gleichermaßen aufbringt, entwickelt Kerstin Marie Backes die wundervolle Bildidee eines Fuchses, dessen Fell – wie durch Zauberei – zunehmend wachsend Tomatenpflanzen zieren. Der Fuchs steht demnach nicht nur für das Leben, sondern verkörpert als Zwischenwesen die Großmutter. In dem Moment, in dem Ben der Tod der Großmutter unwiderruflich bewusstwird, und er fest davon überzeugt ist, ganz allein zu sein und es nie wieder Frühling werden wird, nimmt er den Fuchs wahr. Er folgt ihm in eine Welt, die schon lange verschwunden und vergessen war. »Farben! Endlich wieder. Grüne Blätter. Und Blumen. Azaleen, Goldenrod, Löwenzahn … Grandma kannte sie alle, …«. Endlich kann er Abschied nehmen und sich Rachel zuwenden, die auf dem Weg zur Beerdigung neben ihm im Auto sitzend, ein Kirschblütenblatt aus seinem Haar zupft. Ist das Kirschblütenblatt in der Schlussszene als ein Relikt der traumartigen Abschiedsbegegnung mit der Großmutter zu verstehen, symbolisiert es gleichzeitig Aufbruch und Hoffnung und stellt auf diese Weise für Ben und Rachel den Beginn einer neue Lebensphase dar.
Sarah Knausenberger (Text)
Kerstin Marie Backes (Illustration)
Nie wieder Frühling
Buchgestaltung: Viktoria Napp
Kunstanstifter 2025
48 Seiten, Bleistiftzeichnung und Kohle, digitale Koloration und Collagekunst
Hardcover, 17,5 x 25 cm
ISBN: 978-3-948743-51-2
€ (D): 26 / € (A): 26,70 / CHF: 35,90










