MENU

Anna

Text: Kirsten Winderlich Repros: Elisa Bauer Groß-Sein ist nichts Großartiges, und Großwerden gleicht einem unermüdlichen Gipfelsturm, weiß Mia Oberländer aus eigener Erfahrung und bearbeitet diese in ihrem Comic „Anna“ auf grafisch stilisierenden und farbflächigen Bildtafeln durch raffinierte typografische Setzungen mit Schwung und Humor. Das Miteinander in dem kleinen Bergdorf, in dem Anna, ihre Mutter und Großmutter leben und leiden, ist von Vorurteilen und Diskriminierung geprägt.  Was bedeutet es, nicht der Norm zu entsprechen, sich permanent beäugt zu fühlen und gleichzeitig verlässlich ausgegrenzt zu werden? Durch die bildnerische Freistellung der Figuren, die Überzeichnung von Mimik und Körperproportionen inszeniert die Illustratorin das Denken, Fühlen und Handeln der Protagonistinnen meisterhaft. Die Dialoge spiegeln, dass sie sich dem Schutz ihrer Familie, insbesondere ihrer (Groß-)Mütter nie sicher sein konnte, sondern dass die Diskriminierung innerfamiliäre Weitergabe und Verstärkung erfährt. So wurde Annas Mutter bereits im Kinderwagen wegen ihrer Körpergröße gehänselt, und der Fleischer enthielt ihr die von allen Kindern geliebte „Kinderwurstgabe“ vor. Mit dem Statement, dass die Tochter schon groß und stark genug sei, stimmte die Mutter in sein lästerndes Lachen ein.  Der Tag des Schwimmabzeichens war für Anna nicht nur von Aufregung geprägt, sondern auch von dem ständigen Druck, die Mutter und Großmutter nicht zu […]
Read More ›

Vom Sammeln und Imaginieren
Bruno Munari (wieder)entdeckt

Vom Sammeln und Imaginieren
 — Bruno Munari (wieder)entdeckt
 Text: Kirsten Winderlich Fotos: © Bruno Munari. All rights reserved to Maurizio
Corraini s. r. l. Repros: Niklas Boockhoff   Ist das ein Stein oder eine Insel? Oder vielleicht doch ein Stein? »From afar it was an island« (1971/2006) ist ein Fotobuch des Künstlers und Designers Bruno Munari (1907–1998). Es thematisiert einen häufig unterschätzten Aspekt von Bildung, wenn nicht sogar ihren Grund: die Fähigkeit zur Imagination, zur Einbildungskraft, die in Anlehnung an Bernhard Waldenfels (1990) die wahrgenommene Welt als andere erscheinen lässt. (1) Blicken wir auf Munaris Leben und Schaffen, ist dieser Fokus nicht verwunderlich. Als Künstler, geboren im frühen 20. Jahrhundert, war er Teil der futuristischen Bewegung. Sein künstlerisches Schaffen umfasst ein breites Spektrum und hinterfragt dabei immer wieder unsere Alltagskulturen auf humorvolle Weise. So lässt uns Munari auch in seinen Kinderbüchern unsere gewohnten Sichtweisen auf die Dinge der Welt in Frage stellen. Am Strand Sofort beim ersten Blättern durch die Seiten, gefüllt mit Schwarz-Weiß-Fotos von Steinen und Landschaften, treten Kindheitserinnerungen wie eine Ode an das Sammeln zu Tage. Wer kann sich nicht an den glühend heißen Sand unter den Füßen an einem Tag am Meer erinnern? Wer hat keine Steine gesammelt? […]
Read More ›

Bild(ungs)prozesse

Die Idee hinter „Mein Buch“ ist es, die Imaginationsfähigkeit der Kinder über Bilder anzuregen und sie dabei zu unterstützen, ins Erzählen und zur Sprache zu kommen. Damit ist „Mein Buch“ auch als ein Gegenentwurf zu gängigen Schulbüchern und Lehrwerken zu verstehen, in denen das Bild häufig nur eindimensional illustriert, was der Text an Inhalten und Informationen vermitteln soll. Welches Imaginationspotenzial steckt in „Mein Buch“? Und wie antworten Kinder auf einzelne Bilder und Bildgeschichten? Wie schaffen sie dabei eigene Bilder und kommen zur Sprache? Ein Beitrag von Prof. Dr. Kirsten Winderlich.
Read More ›

Stian Holes Traumwelten

Von geheimen Orten, Wasserlilien und zarten Gefühlen Text: Kirsten Winderlich „Noch nie habe ich ein Kind gehört, das das Wort Kitsch oder einen ähnlichen Begriff benutzt hätte. Ich glaube, dass Kitsch in der Kinderperspektive nicht existiert. Wenn also heute jemand sagt, meine Traumsequenzen seien nahe am Kitsch, macht mir das keine Angst mehr.“ (Stian Hole 2016) Zeitgenössische Bilderbücher können aufgrund ihrer Geschichten zwischen Bild und Text auf besondere Weise berühren und von Gefühlen erzählen, die so schwer in Worte zu fassen sind. Der mehrfach ausgezeichnete norwegische Künstler Stian Hole ist ein Meister dieses Genres. Er darf einfach in keiner Schule oder Kita fehlen! Bilderbücher von Stian Hole Stian Hole erzählt Geschichten von Kindern und Gefühlen. Es sind die großen Gefühle wie Liebe, Angst, Wut und Trauer, die ihn interessieren, und die er in seinen Bilderbuchgeschichten zum Erscheinen bringt, ohne diese im Text plakativ zu benennen. Vielmehr scheinen es die Erlebnisse der Protagonisten, ihr Denken und Fühlen sowie die subtilen Bilder und poetischen Texte zu sein, die uns involvieren. Holes Bilder zeichnen sich durch eigenwillig digital bearbeitete Montagen aus Fotografien, Zeichnungen und Gemaltem aus. Ein Wechselspiel von realistischen Motiven, surrealen Verfremdungen, ungewöhnlichen Perspektiven sowie Verschiebungen der Größenverhältnisse lassen uns in Traumwelten […]
Read More ›

Schluckauf-Dada

Text: Kirsten Winderlich Das Bilderbuch „Hick!“, wohlgemerkt mit Ausrufungszeichen, widmet sich dem Schluckauf. Anushka Ravishankar und Christiane Pieper setzen sich in Text und Bild mit dem uns allen bekannten glucksenden Geräusch auseinander, das durch ein reflexartiges Zusammenziehen des Zwerchfells und damit verbundenen ruckartigem Einatmen entsteht. Wir können uns wahrscheinlich alle daran erinnern, welche Gefühle der erste bewusst erlebte Schluckauf bei uns ausgelöst hat. Die Bandbreite reicht von Erschrecken, Beklemmung, Wut und Scham bis hin zu Staunen und Belustigung. Unabhängig davon, in welche Richtung unser Gefühlsbarometer beim Eintreten dieser nur schwer zu kontrollierenden körperlichen Regung ausschlägt, sind wir dem Schluckauf in der konkreten Situation immer ausgeliefert. Das mag auch der Grund sein, weshalb es unzählige Ratschläge und Rituale zu seiner Bekämpfung gibt – und dieses anscheinend weltweit. Den Schluckauf als ein alle Kinder, unabhängig von Herkunft und Kultur, verbindendes leib-sinnliches Phänomen verstehend, führen die Bilderbuchmacherinnen ausgewählte Strategien vor, den „Hick“ in seine Schranken zu weisen. Angeregt von den absurden Versen der indischen Nonsens-Dichterin Anushka Ravishankar visualisieren die mit einem Risographen* gedruckten Bilder von der Illustratorin und Comiczeichnerin Christiane Pieper einen grotesken Möglichkeitsraum zum Umgang mit dem „Hick“ und seinen Folgen. „Jede Illustration ist eine visuelle Überraschung: Eine Seite gibt Anweisungen, auf […]
Read More ›

Alte Menschen im Bilderbuch

Zwischen Geborgenheit und Verlorenheit Text: Kirsten Winderlich Kinder haben heute immer seltener Gelegenheiten, alten Menschen zu begegnen, mit ihnen Zeit zu verbringen und gemeinsame Erfahrungen zu teilen. Das Zusammensein mit alten Menschen ist vielleicht gerade aus diesem Grund häufig von ambivalenten Gefühlen der Geborgenheit und Befremdung geprägt. Erzählen Bilderbücher von alten Menschen, so tun sie dieses häufig in Bezug auf den Tod. Abschiednehmen, Verlust und Trauer stehen im Vordergrund. Das Eigensinnige des Alters, das Kinder zugleich anzieht und befremdet, rückt in den Hintergrund. Ohne die Bedeutung des Todes in Bezug auf das Thema Alter schmälern zu wollen — ihm gebührt ein eigener Beitrag — möchte der folgende Text auf Bilderbücher Lust machen, die Zugänge zu alten Menschen eröffnen und sie, neben allen Differenzen zwischen Jung und Alt, als Bereicherung erfahrbar machen. Drei Bilderbücher werden vorgestellt, die auf unterschiedliche und eigensinnige Weise über die Begegnung zwischen Kindern und alten Menschen erzählen. Kinderspiele In dem Bilderbuch »Die seltsame Alte« von Adelheid Dahimène und Heide Stöllinger trifft ein sieben- oder achtjähriges Mädchen auf eine alte Frau, die ihm zuerst befremdlich ist, Angst zu machen scheint, im gemeinsamen Spiel jedoch immer vertrauter wird. Das Kind und die Alte spielen das seit Generationen auf der […]
Read More ›

Neue Impulse für Bildungsprozesse in der Kindheit

Das Zeitgenössische Bilderbuch Text: Kirsten Winderlich Bilderbücher bieten mehr als Motivation, Anschauung und Gesprächsanlass. Oft werden Bilderbücher nur als eine Vorstufe für das spätere eigenständige Lesen betrachtet. Dabei vermögen sie viel mehr: Zeitgenössische Bilderbücher können eigenständige und eigensinnige Bildungsräume in der frühen Kindheit eröffnen. Durch ihre besondere »Sprache« finden Kinder in ihnen vielfältige Anregungen für eine spezifische und aktive Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt. In diesem Sinne knüpft das Zeitgenössische Bilderbuch an das im Kontext aktueller Kindheitsforschung beschriebene Bild vom Kind als eigenständiger und eigenaktiver Mensch, der sich mit seiner eigenen und individuellen Weise mit der Welt und den anderen auseinandersetzt, an. Entsprechend zeigt das Zeitgenössische Bilderbuch Kinder, die mit Hilfe ihrer eigenen Ideen und Phantasie, mit Hilfe ihrer eigenen Kreativität selbstbewusst in der Welt zurechtkommen. Anders das traditionelle Bilderbuch: Hier leben Kinder nur in Begleitung und mit Unterstützung Erwachsener oder in einem eigens für sie geschaffenen und von Erwachsenen geschützten Raum. Darüber hinaus zeichnet sich das Zeitgenössische Bilderbuch durch vielschichtige Bild-Text-Verknüpfungen aus, die anders als im traditionellen Bilderbuch keine der Geschichte primär dienende Funktion innehaben (vgl. Thiele 2000; Kohl 2005), sondern ein »Mehr« an Bedeutungen eröffnen und damit eine Multiperspektivität zulassen. Diese Ästhetik, die für viele Erwachsene wegen ihrer eigenen […]
Read More ›

Kindsein

Zugänge zum Denken, Handeln und Fühlen von Kindern Text: Kirsten Winderlich Es ist unumstritten, dass die Weichen für das Leben in der frühen Kindheit gestellt werden. Die Art und Weise, wie Kinder in den ersten Jahren aufwachsen, wie sich die Beziehungen zwischen ihnen, ihren Eltern und Begleitern gestalten, trägt maßgeblich dazu bei, dass sich die kleinen Menschen zu selbstbewussten und starken Kindern entwickeln, die in der Lage sind, sich die Welt zu erschließen. Was aber bedeutet Kindsein in der frühen Zeit? In jüngster Zeit fallen zunehmend Bilderbücher auf, die Erwachsenen Zugänge zum Kindsein vermitteln, weil sie vom Spiel kleiner Kinder genauso erzählen wie von ihrer besonderen Verletzbarkeit und ihrem Bedürfnis nach Nähe und Geborgenheit. Verletzbarkeit Wie verletzbar kleine Kinder sind, vermittelt das Bilderbuch »Schreimutter« von Jutta Bauer. Eine Pinguinmutter schreit ihr Kind derart an, dass es daran zerbricht. Wir erfahren diese sich körperlich und seelisch direkt auswirkende verbale Gewalt und ihr Ausmaß aus der Perspektive des Kindes. Die Bilder zeigen, wie die einzelnen Körperteile auseinanderfliegen und sich auf der ganzen Welt verteilen. Der Kopf schwirrt im Weltall umher, der Körper des kleinen Pinguins stürzt ins Meer. Wir wissen, was das bedeutet. Er wird versinken, unauffindbar irgendwo auf dem Meeresgrund liegen. […]
Read More ›

Vom Sterben, Abschiednehmen und Trauern

Text: Kirsten Winderlich Wenn Kinder ein geliebtes Tier verlieren, wenn ein Freund oder ein Familienmitglied stirbt, versuchen sie, diesen Verlust zu begreifen. Sie stellen Fragen, um sich das für sie Unerklärliche zu erschließen, und bringen ihre Gefühle zwischen Wut, Traurigkeit und Aggression zum Ausdruck. Die Umgebung, die nahen Erwachsenen sind dabei von immenser Bedeutung. Durch einfühlsames Zuhören können sie Kinder bei ihren Nachforschungen begleiten und den Trauerprozess unterstützen. Die folgenden Bilderbücher erzählen von Kindern und Erwachsenen, die ein geliebtes Tier oder einen nahen Menschen verloren haben und versuchen, den Tod und Verlust zu begreifen und zu verarbeiten. Annähern und Verinnerlichen In der Geschichte »Adieu, Herr Muffin« von Ulf Nilsson und Anna-Clara Tidholm nimmt ein Mädchen Abschied von seinem geliebten Meerschweinchen und begleitet es beim Sterben. Herr Muffin lebt ganz allein in seinem Haus, einem umgedrehten blauen Karton. Vor dem Haus befindet sich ein Briefkasten, in dem die Familie, bei der er wohnt, immer Leckereien für ihn bereitlegt. An einem Dienstag findet er dort einen Brief von dem Mädchen, das ihn in sein Herz geschlossen hat. Das Mädchen macht sich Sorgen und schreibt: »Herr Muffin, ich bin so traurig, weil Papa sagt, dass alte Meerschweinchen plötzlich sterben können…« Herr Muffin frisst […]
Read More ›

Fremde Länder und Kulturen

Text: Kirsten Winderlich Wie leben Nomaden im hohen Norden? Wie fühlt sich Finnland an? Woher kommen die Geschichten in Ägypten? Und welche Bedeutung haben chinesische Schriftzeichen für das Leben und die Kunst in China? Bilderbücher eröffnen Einblicke in fremde Kulturen und Welten. Autoren, die sich mit fremden Ländern auseinandersetzen, sind oft in mehreren Kulturen zu Hause, können aus diesem Grund einen multifokalen Blickwinkel einnehmen, zeigen vertraut Erscheinendes wie Unbekanntes und bringen dadurch die Grenzen zwischen dem Eigenen und dem Anderen ins Wanken. Vermutlich hätten sich vier- und fünfjährige Kinder vor dem Betrachten des Bilderbuchs »Die Abenteuer des jungen Welzls« von Peter Sis nicht vorstellen können, dass die Inuit, die im hohen Norden in eisiger Kälte um ihr Überleben kämpfen, Kunst produzieren, sammeln und ausstellen. Die Kinder erhalten nicht nur eine Vielfalt neuer Informationen, sondern lernen beim Betrachten aktueller Bilderbücher auch eine Vielfalt von Möglichkeiten kennen, sich dem Fremden zu nähern. So erfahren sie zum Beispiel in dem sehr persönlichen »Notizbuch« Mohieddin Ellabads, wie sie sich durch das Sammeln und Anordnen von Dingen, Postkarten, Fotos und Zeichnungen immer wieder neue und spannende Zugänge zum vermeintlich Bekannten im eigenen Alltag verschaffen können. Chen Jianghong zeigt ihnen in seiner Geschichte »Han Gan und […]
Read More ›